Sevda Özce macht zum ersten Mal in ihrem Leben ihr eigenes Ding. Vor gut eineinhalb Jahren entschloss sie sich, eine Ausbildung zur Massagetherapeutin zu absolvieren. Eine Entscheidung, die ihr nicht nur berufliche, sondern auch persönliche Freiheit brachte
“Ich habe keinen Beruf gelernt", beginnt die 41-Jährige ihre Geschichte. “Ich war zwölf Jahre lang selbstständig mit meinem Mann … Wir hatten unseren eigenen Laden und
haben Pizza und Kebab verkauft … Ich war die Chefin dort”, ergänzt Sevda.
Während die unternehmerische Selbständigkeit für Sevda kein unbekanntes Terrain ist, ist ihr die eigene Unabhängigkeit fremd. Der Wechsel in einen neuen Beruf stellt eine echte Herausforderung für sie dar: “Ich hatte sehr große Angst … Mein Mann hat mich finanziell abhängig gemacht … “, erzählt sie offen.
Nicht nur finanziell, auch emotional lebt Sevda viele Jahre in ständiger Abhängigkeit.
Ihre Arbeit, ihr Einkommen und ihr Familienleben sind an die Beziehung zu ihrem Mann gebunden: “Ich hatte eine schwere Depression, weil ich in dieser Ehe war”, gesteht sie und erklärt, “ich habe mich immer wieder versucht zu trennen, aber er hat mich emotional mit den Kindern erpresst”.
Ein Befreiungsschlag aus eigener Kraft
Sevda geht durch eine schwierige Zeit, doch der Wunsch, etwas Eigenes aufzubauen, wächst immer stärker in ihr: “... Dann bin ich irgendwie wieder aufgestanden. Wie auch immer, ich habe irgendwie die Kraft gefunden.
Da hab ich gesagt, ich möchte arbeiten, ich möchte ein paar Freiheiten haben. Und dann hat er mir auch erlaubt, diese Massageschule zu machen”, berichtet sie.
In ihrer Ausbildung zur Massagetherapeutin lernt Sevda viele andere Frauen kennen: “... Bei denen hatte ich einfach das Gefühl, mit dieser Person sollte ich mich mal austauschen, die erzählt mir vielleicht etwas aus ihrem Leben, das mir helfen wird", sagt sie. Der Zusammenhalt und auch die Fürsorge ihrer Kursleiterin Daniela Schweizer geben ihr neuen Mut: “...sie hat gleich gemerkt, wem es nicht so gut geht … das war echt einmalig …”, schwärmt Sevda begeistert.
Die darauf folgende Trennung sei für sie eine Erleichterung gewesen, so Sevda. Aber Veränderung braucht Zeit. “Wenn man 23 Jahre in Gefangenschaft gelebt hat, kann man nicht einfach schnipsen und es ist alles anders”, sagt sie.
Wiederentdeckung der eigenen Identität
Das Ende ihrer Ehe ist für Sevda der Anfang ihres persönlichen Weges des Wachstums und der Selbstverwirklichung. “Mein Mann hat immer gesagt, ich sei nicht gesellschaftsfähig … ich könnte mit niemandem reden, mit niemandem umgehen”, berichtet sie und ergänzt: “Ich habe mir selbst nicht vertraut … Er hat mich so manipuliert, dass ich nicht mehr wusste, was ist richtig und was ist falsch.”
Doch eben jene Fähigkeiten der Empathie und der sozialen Intelligenz, die ihr Mann ihr jahrelang abzusprechen versucht, entdeckt sie durch die Massagen wieder: "Die hat er mir weggenommen und die kommen jetzt wieder zurück … Ich bin viel stärker, viel offener, ... viel selbstbewusster", berichtet sie stolz.
Der Kontakt mit ihren Kundinnen und Kunden bestärkt sie in diesem emanzipatorischen Transformationsprozess. “Ich gehe darin richtig auf … Durch die Massagen habe ich ganz viele neue Menschen kennengelernt. Neue Freunde”, sagt Sevda und fügt hinzu: “Ich habe mich ja immer kleingeredet und jetzt merke ich, dass ich doch jemand anderes bin, als ich immer gedacht habe.”
Mit jeder Behandlung gelingt es ihr mehr und mehr, sich aus ihrer emotionalen Gefangenschaft zu befreien und selbstbestimmter durchs Leben zu gehen: "Ich weiß jetzt wieder, wer ich bin”, verkündet sie freudig.
Auch die Gewissheit, nun ihr eigenes Geld zu verdienen, hilft ihr, sich neu zu definieren und sich selbst als unabhängige Frau zu erkennen.
“Ich lebe wieder … Davor habe ich ja so vor mich hin vegetiert. Und jetzt lebe ich. Also, ich genieße das Leben jeden Tag”, sagt Sevda abschließend.